Eroberung des Fansipan, die Erste

Heute war nun der große Tag auf den wir uns seit langem gefreut, den wir heimlich aber auch ein wenig gefürchtet haben: Die Besteigung des Nanga Parbat („nackter Schreckensberg“) stand an. Achso, nein, falscher Artikel. Wir wollten den Fansipan (Phan-xi-pang), mit einer Höhe von 3143 Metern der höchste Berg Indochinas und auch Vietnams, bezwingen. Dafür mussten wir für unsere Verhältnisse relativ spät um 7Uhr morgens aufstehen (durch die Zugfahrt sind wir andere Weckzeiten gewöhnt) um schnell unsere sieben Sachen fertig zu packen und 1-2 Luftbrötchen zu uns zu nehmen. Im Gegensatz zu den sonstigen morgendlichen Mahlzeiten gab es heute mal etwas Herzhaftes in Form von Rührei und Tee dazu.

Hier nun für die Möchtegernbergsteiger unter Euch eine Liste von Dingen, die man nach eigener Erfahrung NICHT für die Besteigung des Fansipan benötigt und daher tunlichst auch nicht in den Rucksack stecken sollte, den man im Schweiße seines Angesichts den Berg hinauf und auch wieder hinunter schleppen muss:

  • Sonnencreme (man hat eh keine Hand frei um sich das Zeug ins schweißnasse Gesicht zu schmieren)
  • Duschbad (wer Duschbad mitnimmt muss auch eine Dusche mitnehmen…sonst sind die 175ml (ca. 200g) einfach Übergepäck)
  • eine 1kg schwere Kamera, wenn man eine 150g Digicam dabei hat (weiß auch nicht, wer auf den Gedanken gekommen ist, sich wegen 13 Bildern so abzuschleppen!)
  • 1 großes Badehandtuch, 2 Laken und 100ml Mückenspray (ein Mumienschlafsack pro Person, der wetterfest bis -25 Grad Celsius ist und bis über die Nase zugezogen werden kann, hätte vollkommen genügt!)
  • 2 Bücher je 450 Seiten (wer auf dem Berg noch Lust und Kraft zum Lesen hat, der hat eindeutig zu früh Pause gemacht!)

Die anderen Dinge wie Wechselshirts, 2 paar Socken, einen dicken Pullover, Regenjacke, Safarihose und Regenabdeckung für die Rucksäcke (wie schon von mir eingehend getestet) hatten wir schon sehr gut abgeschätzt und lagen vollkommen richtig mit der Auswahl und Anzahl der Dinge. Das einzige was wirklich fehlte war eine Taschenlampe inklusive hoch dosiertem Laserstrahl um ungebetenen Gästen ein für alle Mal klar zu machen, dass sie sich zu verziehen haben, wenn man schläft. Dazu aber später mehr.

Zunächst hat sich unser Guide zur verabredeten Zeit um 8Uhr morgens in unserem Hotel eingefunden und sah so gar nicht nach Bergsteigen aus. Irgendwie kamen uns spontan Zweifel, ob wir die richtige Tour gebucht hatten. Er stand vor uns mit einer kurzen Hose, Hallenturnschuh-ähnlichen Fußbekleidungen, Schirmmütze, kleinem Rucksack und Regenschirm. Wir dachten: „Aha, das kann ja eine illustre Wanderung werden“. Als dann auch noch unser Träger auftrat, bekamen wir den letzten Bissen unseres Rühreibrötchens nicht mehr hinunter. Der Junge Mann (älter als 16 war er sicher nicht) war ein waschechter Vertreter der lokalen H’Mong Bergbevölkerung. Das allerdings verschlug uns nicht die Sprache. Es war eher seine „Ausrüstung“, die im Vergleich zu unserer Mondausstattung eindeutig im vorletzten Jahrtausend anzusiedeln war: ein (natürlich) handgewebter Poncho saß perfekt über einer hochgekrempelten, schwarzen Leinenhose die wiederum den Blick auf zwei muskulöse aber geradezu verschwindend dünne Waden freigab. Die Waden endeten an zwei Füßen die in jeweils in einer Plaste-Sandale vom Stile „Jesuslatsch aus einem Spritzguss“ steckten. Diese Besohlung fand unser reges Interesse (leider habe ich kein Bild), denn wir kamen uns in unseren sportlich geschnürten Markenturnschuhen äußerst albern vor. Wie sich später herausstellen sollte, war der junge Mann wesentlich besser auf die klimatischen und regionalen Verhältnisse eingestellt als wir. Aber das wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, sahen uns an und dachten: „Oh man, der Arme.“ Als, na nennen wir ihn mal in Ermangelung der Erinnerung seines Namens, Xhung-ning, dann auch noch den Korb mit unserer Verpflegung einpackte, fielen uns endgültig die Augen auf den fast abgedeckten Frühstückstisch. Ein (selbstverständlich) selbstgehäkelter (nein -geflochtener) Weidenkorb mit zwei Henkeln aus einfach geflochtener Schnur wurde bis über den Rand mit frischen Zutaten gefüllt und, damit auch der 20er-Packung Eiern nichts passieren sollte, mit einer Ladung Toilettenpapier (ca. 18 Rollen) abgedeckt. Nun waren wir verwirrt: Ein Guide, der aussieht als würde er am Sonntag seine Oma in der Kleingartensiedlung besuchen, ein Träger in Tracht, 2 Touris, die sich in jeder Sekunde fragen ob sie die richtige Entscheidung getroffen haben, und ein Korb voller Essen, der für 13 hungrige Seeleute genügend Verpflegung (und Toilettenpapier) für 4 Tage Abenteuerurlaub bieten würde. Was hatten wir zu erwarten? Eine Antwort auf die Frage sollten wir in exakt 48,2 Minuten erhalten.

Ein alter Militärjeep parkte vor unserem Hotel und die schon erwachten Menschen auf der Strasse starrten uns ehrfurchtsvoll an. Uns wurde immer komischer und wir waren froh, als der Jeep anfuhr und wir uns endlich auf den Weg machten. Wir röhrten gemütlich durch die Stadt, eine kleine Passstrasse hinauf, überfuhren einen Hund, kauften Eintrittskarten für den Nationalpark und nach einer kurzen Weile standen wir am Ausgangspunkt unserer kleinen Wanderung.

Nach dem wir aus dem Wagen gestiegen und unsere Rucksäcke aufgesetzt hatten, schauten wir uns kurz um und fanden nur noch unseren Guide. Unser Träger hatte sich schon aufgemacht und war bereits außer Sichtweite. Das konnte ja was werden. Anscheinend hatte man ihn früh morgens aufgezogen und nun tippelte das drahtige Männchen den Berg hinauf, ohne auch nur eine Pause einzulegen. Wir machten uns dann auch auf den Weg und folgten unserem, nun schon 150m vor uns laufenden, Anführer. Sollten wir wirklich soooo langsam sein? Eigentlich dachten wir, dass wir einen Berg hinauf- und nicht hinabsteigen wollten, aber der erste Teil des Weges (ja, hier konnte man noch die Bezeichnung „Weg“ gebrauchen) führte fast steil bergab und ich steckte schon nach 364,7m meine Kamera wieder in den Rucksack (siehe Liste mit Dingen, die man NICHT mitnehmen sollte) um die Hände, oder besser gesagt wenigstens eine Hand, frei zu haben. In der anderen Hand baumelte mein bester Freund, die Wasserflasche. Nun ging es über Stock und Stein, über Wurzeln und Sträucher, Felsen und Schlamm, durch Bäche und über Wiesen, hinauf und hinab, über Leitern und durch Büffelherden immer in Richtung…ja wohin eigentlich? So richtig konnten wir das nicht feststellen, denn der „Weg“ hatte sich nach nur 30 Minuten in einen Pfad und dieser dann wiederum in eine gedachte Route verwandelt, die man als Stadtmensch leicht als Wildschwein- oder Rehpassage hatte verwechseln können. Was waren wir froh, dass unser Guide alle 10m stehen blieb und auf uns wartete (man, das muss langweilig für den gewesen sein). Von unserem Träger sahen wir zunächst nichts, bis er auf einmal aus dem Bambuswald heraus brach und jedem von uns einen eigens zurechtgeschnitzten Wanderstab aus eben jenem Material übergab. Schoen, endlich wieder beide Hände voll! Nein, ganz im Ernst. Ohne diesen Wanderstock hätte ich im weiteren Verlauf der „Wanderung“ schon mehrmals aufgegeben. Er gab mir Kraft, Halt und Sicherheit. Bei Manja war er meist genau das Gegenteil: eine unnütze Last, die sie nur allzu gern des Öfteren einfach sich selbst überlassen und Wurzeln schlagen lassen wollte. Kurz nach der Übergabe der Wanderstöcke verschwand Xhung-ning wieder und sprintete sicher schon zur ersten Raststelle um das Frühstück zu bereiten. Als wir versuchten der 8 Schlammpfütze auszuweichen und dabei den Fuß nicht rechtzeitig ins Trockene bekamen und die Feuchtigkeit langsam in den Socken zu spüren war, wussten wir, warum unser Träger dies Plastesandalen angezogen hatte. So konnte er ungestraft durch jedes Schlammloch tippeln und würde einfach den Fuß in den übernächsten Bach halten und schon wäre der Fuß wieder sauber und kurz darauf auch luftgetrocknet: genial. Schade, dass wir unsere nun immer schwerer werdenden Turnschuhe angezogen und auch nicht unbedingt die Chance hatten, dieser per Zukauf durch eben solche Wunderlatschen zu ersetzen. Der Grund dafür war ganz einfach des Fehlen von jeglicher Zivilisation (also Schuhgeschäfte, Marktplätze oder andere Orte an denen Schuhe angeboten werden). Wir waren mitten in der Natur. Wir waren sogar soweit in der Natur, dass wir nicht einmal mehr Autos hörten, Fußspuren sahen oder Papierschnipsel auf dem Waldboden erkennen konnten. Es gab nur uns und den Berg. Na gut, zunächst war es nur der Wald und die paar Felsen. Aber das sollte schnell anders werden. Das Wetter hielt sich bis zu unserer Raststätte ganz fabelhaft und es regnete erst, als wir in der zurechtgezimmerten und mit einer Plane abgedeckten Unterkunft ankamen. In der ebenso konstruierten jedoch völlig verräucherten Kochhütte wurde das Essen zubereitet und so gab es nach kurzer Zeit Frühlingsrollen, Ei und Gemüse inklusive eines ausgezeichnet schmeckenden Kaffees im Plastebecher. Nach kurzer Stärkung (ca. 2h) hörte es auf zu regnen und wir setzten uns wieder in Bewegung.

So langsam merkte man, dass man an Höhe gewann, denn die Beine schmerzten schon etwas. Das kann natürlich auch an der ungewohnt hohen Belastung gelegen haben (wobei ich das bei unserer hervorragenden körperlichen Verfassung, die ganz dem harten, unbequemen Leben in Singapur zu verdanken ist, fast gänzlich ausschließen möchte). Es ging immer weiter hinauf und wieder hinab und über Bergkämme mit herrlichen Aussichten, einem Guide der alle 10m uns warten musste, kurze Verschnaufpausen, die sich in der Frequenz erhöhten je näher sich der Tag dem Abend näherte und einiger Verwunderung ob der Tatsache, dass jemand in ein Gebiet, in dem es nicht mal einen Pfad gab, ein Betongeländer installiert hatte um uns Touristen sicheren Halt zu geben. So kletterten wir über Felsen, denen wir normalerweise großzügig aus dem Weg gegangen wären, rutschten durch Schlamm, hangelten uns an Bambusgewächsen entlang und ließen uns mal von der Sonne bescheinen und dann wieder von Nebel verhüllen. Nach gefühlten 34,5h kamen wir dann so gegen 18Uhr am selben Tag an unserer Übernachtungsstation an. Sie sah genauso aus wie schon die Hütten zum Mittag, nur dass hier ein paar Bambusstangen nebeneinander gelegt als Betten dienen sollten. Ein Plane und eine alte Decke, die sicher schon viel zu erzählen hätte, wurden für uns ausgebreitet und 2 leichte Schlafsacke ausgepackt. Hier sollten wir also nächtigen.

Die Sonne ließ sich noch ein letztes Mal blicken, wir zogen endlich unsere dreckigen Schuhe aus, tauschten unsere verschwitzten T-Shirts gegen trockene und wuschen uns die Gesichter in einem kleinen, tröpfelnden Bächlein. Die Wolken am Himmel gaben für einen kurzen Moment den Blick auf unser eigentlich Ziel, den Gipfel, frei und wir fingen an zu bereuen. Na, nicht so richtig echt, aber der Gipfel sah so aus, als würde es noch 2 Tage Marsch so wie heute brauchen, um ihn zu erreichen. Na, mal schauen. Leider konnten wir unseren Guide nicht so richtig mit Fragen löchern, da sein Englisch genauso hervorragend wie unser Vietnamesisch war und so verbrachten wir die Zeit bis zum Abendbrot mit herumliegen und den fast aussichtslosen Versuchen vor Müdigkeit nicht einzuschlafen.

Als das Abendbrot serviert wurde (ja, wir durften quasi im Bett essen) wussten wir, warum so viel Essen ein gepackt wurde. Ich weiß nicht mehr, was es alles gab, aber es war VIEL. Mindestens 4 Teller wurden vor uns ausgebreitet die Randvoll mit einigermaßen leckeren Genüsslichkeiten waren. Dazu gab es Obst und einen Becher voll Reisschnaps. Sehr lecker und natürlich war das auch die optimale Kombination für die gemeine Bettschwere und so fielen wir (natürlich nicht, ohne uns noch einmal die Zähne zu putzen) sofort in die Waagerechte. Schlafen wäre toll gewesen! Jedoch sollte es so nicht kommen. Die Hütte sah bei Licht besehen ziemlich vertrauenerweckend aus. Nun in der Dunkelheit aber zeigte sie sich von ihrer schlechten Seite. Der Wind zog durch alle Ritzen und es fing verdächtig an zu rascheln. Nach eingehender Suche mit dem beleuchteten Handydisplay fand sich dann auch relativ schnell der Grund für die Geräusche: Mäuse! Und zwar nicht nur eine, sondern sie traten im Rudel auf. Ca. 10-12 kleine Nager liefen durch die Bude, kletterten an Pfeilern hoch, raschelten in den Planen und nagten an allem, was sich nicht bewegte! Da hatten wir das Problem. Um nicht heimlich nachts angeknabbert zu werden hieß es, sich ständig in Bewegung zu halten. Hier wäre nun die eingangs erwähnte Taschen-Laser-Lampe angebracht gewesen. Leider hatten wir die nicht und so blieb uns nichts weiter übrig, als die Nacht in einem mehr wachen als schlafenden Zustand zu verbringen und den Kampf gegen die Nagetiere letztendlich durch die uns morgens gegen 2h30 übermannende Müdigkeit doch zu verlieren. Ständig schreckte ich bei jedem kleinen Geräusch wieder hoch und war noch nie so froh, endlich den ersten Schein des Morgens durch eine der Ritzen erkennen zu können. Oh, was für eine Nacht. Und heute sollte uns noch der schwerste Teil der Besteigung bevorstehen.

5 Gedanken zu „Eroberung des Fansipan, die Erste

  1. Robert

    Ja, da sprangen einfach 2 Hunde direkt unter den Jeep…der Fahrer konnte nicht mehr bremsen…einen hat es erwischt. Ich konnte nicht hinsehen, aber gehoert hat man ihn. Krieg immer noch ne Gaensehaut, wenn ich dran denke.

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  2. vati

    Sehr anschaulich beschrieben! Habe gemerkt, die Dechiffrierung fällt einfacher, wenn man sich’s vorliest. Gibt’s nicht so eine Windows-Funktion irgendwo?
    Robert, vergiss nicht, deine Texte in passender Form zu sammeln – zwecks Nachauflage.

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