Japanische Arbeit

Heute möchte ich Euch ein wenig über den Arbeitsalltag (so ich diesen schon als Alltag beschreiben kann) informieren. Zunächst einmal gilt hier, genauso wie in jedem anderen Teil unseres Konzerns, die Regel, dass von Montag bis Freitag von den Herren ein Anzug inkl. Krawatte getragen werden muss und am Freitag dann „Casual Friday“ (der legere Freitag) ist. Die Kolleginnen haben es wieder einmal leichter und können tragen was sie wollen. Das äußert sich im Moment jedoch so, dass sie alle in etwa die gleiche Kleidung tragen: Stiefel bis zum Knie, etwas Strumpfhosenartiges und darüber dann eine Art Sack, das den Oberkörper bedeckt. Dieses, einem Kleid nicht unähnlichen, Kleidungsstück ist dann das Differenzierungsmerkmal, denn es sieht bei jedem der Mädels ein wenig anders aus. Aber eben nur ein wenig.

Das Office nach Feierabend
Das Office nach Feierabend (ganz hinten ist schon Licht aus)

Denn in Japan scheint das allgemeine Gebot zu gelten: Bitte nicht auffallen – unter allen Umständen! Jeder hat hier ungefähr die gleiche Handtasche und die gleiche Art sich zu kleiden. Nur kleine Unterschiede sind auszumachen und das ist für uns Europäer sehr schwer zu verstehen. In europäischen Breiten versucht man ja oft, genau die Dinge zu tragen, die einem nicht alle Nase lang in der der Öffentlichkeit entgegenkommen. Mädels suchen stundenlang nach Kleidern, damit sie ja nicht das gleiche anhaben wie jemand anderes. Hier in Japan scheint es genau umgedreht zu sein. Keiner möchte aus der Masse herausstechen und das macht die Sache ein wenig eintönig.

Vielleicht erklärt das auch das Phänomen, warum sich Japaner außerhalb ihres eigenen Landes gern in größeren Gruppen aufhalten: Dann fallen sie (unter sich zumindest) als einzelne Person nicht mehr auf. (Übrigens zählen sich mehr als 80% der Japaner – egal wie reich oder arm – zur Mittelschicht)

Natürlich gibt es auch hier die Rebellen, die sich dann als Punks verkleiden (oder diesen Stil auch wirklich leben…ich würde allerdings auf Verkleiden tippen) und besonders im hippen Stadtteil Shibuya als Schulmädchen herumlaufen. Das hat nichts mit dem nahenden Halloweenfest zu tun und auch nichts mit irgendwelchen Männerphantasien. Die Mädels scheinen es zu mögen und ziehen sich eben auch am WE diese Kleidung an 😉

Aber zurück zum Büroalltag: Was im Büro am meisten auffällt ist die Tatsache, dass Japaner mindestens 2cm unterhalb der Teppichoberfläche laufen. Mir wurde als Kind immer ganz sanft gesagt ich möge doch bitte die Füße heben beim Laufen sonst würde ein Donnerwetter geschehen (ist bis heute nix passiert…haha!) Daran habe ich mich gehalten und muss immer ein wenig an mich halten, wenn die japanischen Kollegen an mir vorbei, vor mir, hinter mir und 4 Reihen hinter mir schlurfend den Weg zur Tür oder zum Arbeitsplatz zurücklegen. Es scheint als hätten sie keine Schnürsenkel in den Schuhen (Haben sie aber doch. Ich habe nachgeschaut!) oder bleierne Schuhsohlen. Aber ich konnte nichts Falsches an den Schuhen erkennen. Sie sind nur einfach anscheinend zu faul. In einem solchen Tempo kann man natürlich nicht pünktlich zu einem Termin erscheinen – da müsste man ja Zeit für den laaaangen Weg einplanen 😉 Naja, aber man gewöhnt sich an alles. Da hier 100 Kollegen/-innen auf einer Etage in einem riesigen Großraumbüro sitzen ist es sehr von Vorteil, dass die Japaner (zumindest auf der Arbeit) sehr ruhige Menschen sind. So ruhig, dass ich manchmal nachfragen muss, was mir mein 50cm entfernter Gegenüber gerade gesagt hat. Flüstern wäre übertrieben. Ich habe auch das Gefühl, dass sie sich untereinander gar nicht verstehen, es uns nichts verstehenden Ausländern gegenüber aber nicht zugeben wollen. Brauchen sie auch nicht, denn auch wenn man nicht versteht was genau gesagt wird. Auch als Deutscher bekommt man mit, wenn die gleichen Laute wieder und wieder geäußert werden 😉 Es gibt also auch hier Missverständnisse, die mit ein wenig Lautstärke beim Sprechen ganz leicht aus der Welt zu schaffen wären. Wenn die Kollegen einem aber etwas erklären, dann nehmen sie sich Zeit, auch wenn man merkt, dass sie zunehmend ungeduldig werden, wenn der unwissende Deutsche zum wiederholten Mal nachfragt, was der zuletzt hingenuschelte Satz heißen sollte. Ein verstecktes Augenrollen verrät aber die Unruhe (ich schaue meinem Gegenüber immer genau in die Augen beim reden!). Freundlich sind alle Kollegen. Leider kann ich die Freundlichkeiten, die auf Japanisch an mich gerichtet werden, nicht erwidern. Aber vielleicht mache ich wirklich mal einen Japanischkurs…wenigstens einen Basiskurs.

Eine kleine Kuriosität entdeckte ich beim Überschlagen meiner Beine (nachdem ich mir das Knie an dem für Nicht-Asiaten viel zu niedrigen Schreibtisch gestoßen hatte). Ich stieß mit meinem Fuß an einen Schutzhelm. Genau, so einer wie ihn Bauarbeiter auf dem Bau tragen! Ein kurzer Moment der Verwunderung veranlasste mich, der Sache auf den Grund zu gehen. Ein kurzer, unauffälliger Blick unter den Schreibtisch meiner Kollegin sowie beim Herumlaufen unter die Schreibtische der anderen Kollegen nährte meine Vorahnung. Ein Nachfragen brachte Klarheit: Es gibt unter jedem Schreibtisch nicht nur den Schutzhelm, sondern auch einen Schlafsack sowie einen Beutel mit sehr wichtigem Inhalt. Der Inhalt besteht aus folgendem: 2 Wasserflaschen, 1 Taschenlampe, 1x Taschenlampenbatterien, 2 Dosen Chips und ein Radio.

Just in Case ;-)
Just in Case 😉

Nun werde Ihr Euch sicher fragen, wofür man das unter jedem Schreibtisch in einem Unternehmen braucht, das weder Safaritouren noch Bergsteigerausstattungen anbietet, oder? Nun ja, wir befinden uns hier in einem sehr Erdbeben gefährdeten Gebiet dieses Planeten. Nach Auskunft eines Kollegen gab es zwar in dieser Region seit den letzten 50 Jahren kein nennenswertes Beben, es sei jedoch das allerbeste vorbereitet zu sein. Aha! Richtig, im 13 Stock eines 50-stoeckigen Gebäudes ist es wichtig, dass man einen Helm auf hat, ein Radio am Ohr, Chips in Wasser aufweicht und den Schlafsack unter dem Arm hat während das Gebäude langsam in sich zusammenfällt. Naja..ich weiß ja nicht, möchte den Japanern aber nicht alle Illusionen rauben. – Der sicherste Ort ist nach Auskunft des Kollegen übrigens unter dem Schreibtisch … sicher weil es da das Überlebenspaket gibt 😉

Besprechungen laufen normalerweise so ab: Zuerst betreten alle hoffentlich gleichzeitig das viel zu kleine Besprechungszimmer und dann geht eine kleine Orgie des Sich-Verbeugens los. Es wird „Guten Tag!“ gesagt…aber nicht nur einmal sondern mehrere Male hintereinander. Dann werden die Visitenkarten ausgetauscht. Nicht so wie in Deutschland (jeder gibt dem anderen die Karte in die Hand), nein, die Karte wird von einer Person mit beiden Händen festgehalten und dann wird irgendwie versucht, die Karte des anderen (der sie natürlich auch in beiden Händen hält!) zu greifen. Nicht immer ganz einfach, aber wir haben ja Zeit. Dazu wird sich immer wieder verbeugt. Auch hier besteht noch Optimierungsbedarf des Prozesses (bin ich zu deutsch? 🙂 ) Danach wird dann eigentlich nur noch darauf geachtet WIE etwas gesagt wird. Das WAS ist nebensächlich. Wichtig ist nur, dass man dem Gesprächspartner keine allzu direkten Fragen stellt (ihn somit an die Wand drückt – er sich also für etwas entscheiden muss) und einen guten Eindruck hinterlässt, damit man sich auch später noch mal in die Augen sehen kann. Inhaltliches wird nur wenig geklärt. Ich frage mich in solchen Situationen gern, wie Japan zur wirtschaftlichen Weltmacht aufsteigen konnte (schlurfende Schritte, flüstern, inhaltslose Besprechungen und rudimentäre Englischkenntnisse…)?! Es existiert die Theorie, dass Japan ganz einfach (noch bevor die Marktwirtschaft erfunden wurde) einfach als erstes angefangen hat, die benachbarten asiatischen Länder durch unfairen Handel (also unverständliche weil nicht lesbare Preise und keine Versprechen weil man sich ja nicht festlegen möchte) einfach ausgenommen und dadurch schnell zu Reichtum gelangt ist. Wäre auch eine Theorie dafür, warum es in dieser Region einige so arme Länder gibt!

Als Fazit möchte ich sagen, dass es zu 100% ein Vorteil ist, wenn man des Japanischen mächtig ist. Einfach auch um dem gemeinen Japaner ein wenig bei seiner Englischschwäche entgegenzukommen – vor allem aber um das 5-minütige Zwiegespräch zwischen 2 Japanern mit der leichtfertigen Simultanübersetzung „Herr Akimoto hat zugestimmt“ hinterfragen zu können 😉 Die Kollegen sind nett und freundlich und haben auch echtes Fachwissen (leider alles auf Japanisch). Sie bemühen sich aber und das macht die anderen Mankos wieder wett. Auf längere Zeit hier zu arbeiten würde mich entweder meine eigentlich bekannte Gelassenheit kosten oder ich müsste meinen Arbeitsstil doch sehr umstellen. Da ich beides so lassen möchte, wie es ist…bleibe ich hier noch 1 Woche und komme dann immer wieder…als Urlauber 😉

8 Gedanken zu „Japanische Arbeit

  1. Vati

    Ich glaube, mir würde auch die Kenntnis der japanischen Sprache nicht helfen. Bestimmt wäre ich mit meiner Ungeduld sehr bald persona non grata.

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  2. Spike

    Schöner Bericht und das Notfallset fürs Erdbeben auch nicht schlecht. Aber mein erster Gedanke war. Schlafsack, falls es mal wieder länger im Büro dauern sollte, damit man es sich schön unter dem Schreibtisch gemütlich machen kann und den Helm, damit man sich morgens nicht den Kopf stößt und nicht so viele Gehirnzellen absterben.

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  3. ASec

    Sehr schön! Hab doll gelacht. Alles liebgewonnene Erinnerungen. Ein faszinierendes Land, aber arbeiten sollen da bitte andere. Ich würde schon bald meine leider nicht ganz so geduldige Natur offenbaren (in hysterischen Anfällen) und jeden Abend in Bernds Bar abhängen. Warst Du dort schon? Das spendet Trost … ;o)) Viel Spass noch. Mit Grüssen aus Singapore!

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